Weine als Kuschelkissen? Winterweine sollten vor allem eines: sich im Glas anfühlen wie eine wohlige Umarmung, eine feine Decke, wie ein Soundtrack, mit dem man durch die kalte Jahreszeit genießt. Hier mal ein paar persönlich überprüfte Kuschelkandidaten.

Winterweine oder: von Seelenstreichler bis Kaminfeuer im Glas
Für den Start in die anlaufende Zeit der einmümmelnden Sofa-Festspiele bin ich immer auf der Suche nach in Flaschen abgefüllten Kuschel-Kissen, die ein bisschen flauschige Seelenwärmer spielen.
Für mich ist grundsätzlich jedes noch so kleine Genuss-Abenteuerchen ein Fest, weil man immer neues entdeckt, dazulernt und Inspiration mitnimmt. Anderen schöne Entdeckungen (w)einschenken ist zu einem großen Hobby – oder Nebenjob von mir geworden. Aber wie setzt sich jetzt genau ein kuschliger Obstsalat beim Winterweine Casting durch? Für mich, wenn die Weine sofort so ein wohliges Gefühl des Angekommenseins auslösen, den Reflex, es sich mit dem Glas und der Flasche gemütlich zu machen – oder wenn der Wein an sich schon ausreicht, es sich in einem kleinen Zelt cozy zu machen. Oder auf einem engen Großstadtbalkon. Kuschelweine nehmen einen an die Hand, sind fein gestrickt, filigran gewebt, haben eine streichzarte Struktur, von elegant bis cremig, gerne darf eine schöne Prise Würze an Bord sein. Vor allem aber erhalten sie das Gefühl aufrecht, oder drehen mit jedem Atemzug noch etwas mehr am emotionalen Heizungsregler.
Bei den nachfolgenden Weinen, die ich alle persönlich zum Casting vorsprechen hab lassen im Glas, hat sich genau diese Gefühlswelt eingestellt. Wir stecken quasi alle unter einer Decke. Aber jetzt ganz seriös: Viel Freude am Inspirieren lassen, vielleicht ist ja der ein oder andere Kuschel-Kontakt noch dabei.

Was Winterweine auszeichnet? Wenn sie sofort so ein wohliges Gefühl des Angekommenseins auslösen, den Reflex, es sich mit dem Glas und der Flasche gemütlich zu machen.
Jeder Wein hat natürlich einen anderen Dresscode. Aber alle haben einen roten Faden: Sie sind ein cozy Soundtrack im Glas.


Weingut Netzl, Carnuntum, Österreich
Österreich-Wein-Soundtracks als Familienalbum. Als Winzerin in fünfter Generation hat Christina Netzl die Carnuntum DNA im Blut. Im biozertifizierten Familienweingut in Göttlesbrunn setzt sie auf Beats aus Zweigelt und naturnahen Weinbau. Ihr Motto (bisschen wie ich beim Kochen): „Wir arbeiten nicht nach Rezept. sondern nehmen an, was von der Natur kommt. Das kann jedes Jahr völlig anders schmecken.“ Ihre Handschrift in meinen Augen: Feingespür, präzise, grazil aber mit klarem Mut, seine Message ins Glas zu bringen. Ein klares Drehbuch, das vermeintlich unterkühlte Charaktere mit feinem Temperament und Tiefgang auftauen lässt.
Seit Generationen sind die historischen Göttlesbrunner Rieden „Haidacker“ und „Bärnreiser“ die Juwelen des Weingutes Franz und Christine Netzl. Die hab ich probiert und kann sagen: Sie sind facettenreiche Winterweine, mit denen man gerne unter einer Decke stecken möchte.

Österreich-Wein-Soundtracks als Familienalbum. Als Winzerin in fünfter Generation hat Christina Netzl die Carnuntum DNA im Blut – ich hab 2 Rotwein-Kuschelkissen probiert.
Das Duett von Ried Haidacker 1ÖTW und Ried Bärnreiser 1ÖTW „Anna-Christina“ nimmt mit auf ein streichelndes Rotwein-Konzert.

Ried Haidacker 1ÖTW
Die Ried Haidacker in Göttlesbrunn gilt seit jeher als Herzstück des Weinguts Netzl. Und besitzt laut Christina eine ganz spezifische Charakteristik, die es galt, herauszufinden. Übersetzt: Die 35 Jahre alten Reben profitieren von kühlen Nächten am Waldrand, die den Trauben eine lange Reifezeit ermöglichen. So behält der Zweigelt Spannung und Frische, ohne in Überreife zu kippen. Auf nährreichen Lössböden mit Schottereinschwemmungen wurzeln die Reben tief, versorgt vom kühlen Löss im Untergrund. Die südöstliche Ausrichtung, die Nähe zur Donau und die Winde des Ellender Waldes bringen die Balance von Reife und Frische.

In der Ried Haidacker stehen die ältesten Zweigeltreben des Hauses. Ein Rotwein-Soundtrack mit röstigen Beats. würzigen Gitarrenriffs und einer kühlen, aber feinsinnig wärmenden Melodie.
In der Nase erinnert mich der Rotwein an einen Whisky, der im Pflaumen-Edelbrand gelagert wurde. Schinken im Kirschholzrauch, super elegant, sehr klar, präzise, feinsinnig. Aber: Man ahnt direkt, dass es hier mit Tiefgang zur Sache gehen wird.
Der erste Schluck? Bisschen wie schwebende Marmelade. Wie so ein Schmetterling mit einem Glas Whisky-Konfitüre im Gepäck, leicht, smooth, Air Butterfly fliegt durch Wolken aus Kirsche, Johannisbeere und Schokolade. Fühlt sich an wie eine ganz leichte, gewebte Decke, man lehnt sich zurück und denkt sich: So, Wein, erzähl mal, ich hör dir zu. Ergänzend kommt wie ein Twist noch so eine versüßende Note dazu, als ob man Thymian in Honig und Traubenessig aufkocht, fein würzig, spannend.
Der Haidacker ist viel, aber kein lauter Wein. Kein Schreihals, der Sendezeit erbeuten will. Vielmehr ein Wein, der, im Wissen, wie gut er erzogen wurde, gefühlvoll pointierte Streicheleinheiten setzt, ohne dass es je Gefahr läuft, kitschig zu werden.
Weingut Netzl Ried Haidacker 1ÖTW, Preis: rund 30 Euro, über www.netzl.com
Ried Bärnreiser „Anna-Christina“ 1ÖTW
„Der Bärnreiser sei für Christina ein lebendiges Geschichtsbuch. Jede Generation hat hier ihre Spuren hinterlassen – vom ersten Zweigelt des Großvaters über den Merlot ihrer Eltern bis zum eigenen Blaufränkisch. Stortelling im Glas. Und ich kann vorweg nehmen: Mich hat der Wein wirklich mit auf ein fesselndes Abenteuer genommen – bequem vom Sofa aus.

Die Cuvée Ried Bärnreiser „Anna-Christina“ mixt die saftige Frucht des Zweigelts, Würze und Struktur des Blaufränkisch, und die samtige Dichte des Merlots in einen hypnotisierenden Wein-Song zwischen Pink Floyd und The Weeknd.
Die Ried Bärnreiser in Höflein beginnt, ebenso klassifiziert als ÖTW Erste Lage, am Rand des Waldes, zieht sich weit hin und dreht sich schließlich vollständig von ihm weg. Dort, wo kühlender Schatten mit Abwesenheit glänzt wie ich früher mental im Chemieunterricht, sitzt der Merlot am wärmsten Zipfel der Lage. Die südliche Ausrichtung sorgt hier für maximale Sonneneinstrahlung, während das pannonische Klima und die sandig-schottrigen Lössböden eine konstante Reifung der Trauben ermöglichen. Trotz der Hitze hat der Wein einen überraschend frischen Esprit.
Das spannende hier: „Anna-Christina“ mixt die saftige Frucht des Zweigelts, Würze und Struktur des Blaufränkisch, und die samtige Dichte des Merlots in einen hypnotisierenden Wein-Song irgendwo zwischen Pink Floyd und The Weeknd. Der Wein ist kein Hei(z)sporn, bewahrt stilistisch eher einen kühlen Kopf, hat aber gleichzeitig eine feinsinnig wärmende Melodie.
Eine feinsinnig-würzige Reise im Glas, mit Tiefgang, aber auch Freude am Erzählen seiner Story: der Ried Bärnreiser „Anna-Christina“ 1ÖTW.

Der Duft erinnert mich an einen Feinkostladen mit Rauchsalami, Pfeffer und Schwarzwälder Kirschwasser, gehüllt in einen Dresscode aus dunkelbraunem Cord, curryfarbene Hose, grünes Einstecktuch, während man vom Balkon aus in die neblige Ferne schweift. Im Mund? Als ob eine seidige Decke im Transformers-Style zum Bärenfell wird, mit dem Jon Schnee in Game of Thrones sein Überleben sichert. Stichwort: der Winter kommt. Dazu: Eine fein gewebte Säure, die wie auf einem Kirsch Wacholder-Schokoladen-Teppich flaniert. Kategorie: Entdecker-Wein.
Weingut Netzl Ried Bärnreiser „Anna-Christina“ 1ÖTW, Preis: rund 35 Euro, über www.netzl.com

Schwarzer Sepp Cuvée, Weingut Börsig, Baden
Ortenau Obstsalat oder: die dunkle Seite der Macht mit dem Weingut Börsig aus Oberkirch. Vorneweg gleich eine ehrliche Meinung. Der Wein hier müsste eigentlich ein paar Euro mehr kosten, hier gibts viel Kuschel-Abenteuer unter 15 Euro.

Winterweine mit Charme: Weihnachts-Vibes kreisen beim Schwarzen Sepp vom Weingut Börsig schwerelos durch den Kopf, als ob mit Rum glasierter Schinken und Pfefferbeißer-Würste der lokalen Metzgerei auf einem Ledersofa Party feiern.
Hat der schwarze Sepp schwarzen Humor? Schmeckt der nach schwarzem Tee? Muss ich schwarze Zahlen schreiben, um mir den Wein zu leisten? Oder lässt er mich mit seiner Aromen-Story warten, bis ich schwarz bin?
Spoiler: Ich musste etwas druckvoller Zähne putzen, aber sonst hätte sich auch Darth Vader von dem Ortenau-Obstsalat hier ein Glässchen gegönnt. Probiert hab ich die Cuveé aus Cabernet Mitos und Spätburgunder vom badischen Weingut Weingut Börsig bei Oberkirch im Riedel Veloce Pinot Noir Glas probiert – und ich war vom ersten Nasenkitzeln an angezogen wie vom Todesstern-Magnetstrahl. Allgemein hat es bei den Reben-Soundtrack des Weinguts und mir sofort Klick gemacht, auch die Weißweine sind ein Date wert – aber wir konzentrieren uns erstmal auf diesen Kuschelkandidaten hier.
Der Schwarze Sepp bringt auf Temperaturen. Sehr klar und straff, biegt dann aber schon mal langsam in die Ausfahrt Ausbildung zur Trinkmarmelade ab.

Weihnachts-Vibes kreisen schwerelos durch den Kopf, als ob mit Rum glasierter Schinken und Pfefferbeißer-Würste der lokalen Metzgerei auf einem Ledersofa Party feiern – und wenn’s um die Wurst geht, kommt noch eine juicy Tüte rote Beeren mit dazu. Sepp ist sofort da, auch wenn man spürt, er wartet noch mit der ganzen Charakter-Show, bis er mal durchatmen darf. Sehr klar und straff, biegt dann aber schon mal langsam in die Ausfahrt Ausbildung zur Trinkmarmelade ab. Feine Frucht, leicht herb, echt wie kalter schwarzer Tee, gewürzt mit BBQ Pflaumen, dann grüßt eine schwarze Johannisbeere lächelnd im Vorbeigehen, eine feine Säure setzt sich auf die Geschmacksstraßen B28 vor einen wie ein Traktor. Nur dass man sich hier gerne ausbremsen lässt.
Ein Klecks Schokolade schwingt auch noch mit. Für den Preis (12€) ein mich echt emotional mitnehmender Rotwein, der auch als mobile Heizung von innen am Balkon taugt – und neugierig macht, was das Weingut noch so im Gepäck hat.
Weingut Börsig Schwarzer Sepp, Preis: rund 12 Euro, über weingutboersig.company.site/Rotweine

Gut Hermannsberg Niederhausen Riesling 2019 GG (Nahe, Deutschland)
Das Gut Hermannsberg hab ich mir selbst nahe gelegt, weil dort der volle Fokus auf Weißweinen liegt. und dort regelmäßig coole Genuss-Events wie die Weinschmecker-Wochenenden gehostet werden, was mich besonders neugierig gemacht hat. Verzeiht das liebliche Wortspiel mit dem dort vorbeischlängelnden Fluss, die Weine machen das mehr als wett, glaubt mir. Die 30 Hektar Weinberge des geschichtsträchtigen Gutes sind allesamt als GROSSE.LAGEN klassifiziert (VDP). Je nach Bodenverhältnissen werden die mittlerweile sieben GGs unterschiedlich lang gereift, bevor sie auf den Markt kommen. Hier liegt auch genau der Fokus von Gut Hermannsberg: Die authentische Charakteristik der Spitzenlagen unverfälscht in die Flasche zu transportieren. Und was wäre ein schöneres Abenteuer, als diese Ausreifung mit der neugierigen Family mal unter die Lupe zu nehmen? Deshalb gab es zum Advent eine spannende Einschenkung bei Kerzenschein, die wirklich alle komplett begeistert hat.

Perfektes Timing: Die Nahe-Rieslinge vom Gut Hermannsberg dürfen solange reifen, bis sie auf den Punkt sind. Das zeigt auch der Gut Hermannsberg 2019 Hermannsberg Niederhausen Riesling GG.
Keine 200 Meter von der legendären Lage Kupfergrube entfernt liegt die Monopollage Hermannsberg, doch deren Eigenschaften könnten kaum unterschiedlicher sein: Tonschiefer im Untergrund, überlagert von Löß, welches förmlich mit den Winden hierhin verweht wurde. Wenn die Weine lagern dürfen, machen sie einen auf Botanik im Frühling: blühen auf. GG Reserve Weine wie der Hermannsberg Niederhausen GG Reserve werden von Hand gelesen, nach einer kurzen Maischestandzeit spontan vergoren und dürfen danach zwei Jahre im Fass auf der Hefe reifen, bevor sie abgefüllt und weitere 3 Jahre im Keller zur Flaschenreife lagern. Direkt beim ersten Nasen-Kontakt und dem ersten Schluck waren meine Eltern neugierig-hellhörig im Loungesessel, wie ein Trüffelhund der Juwelchen wittert. Vorausgeschickt: Ich hab meinen Eltern nicht gesagt, was sie da im Glas haben, sondern mir mal interessiert angeschaut, wie die Reaktionen ausfallen. Und schnell wird klar: Da ist großes Kino im Glas. Mein Dad, Bier-Sommelier, goutiert mit einem prägnanten: Oha. Oha. Moment, was geht hier ab?
Ein vielschichtiger Riesling, der sich super elegant mit feinen, charming Twists ins Glas kuschelt – und dort auf classy Reise gehen lässt.

Man hat das Gefühl, wie im Kino geht das Licht aus, so ein Lichtspot schwenkt auf den Wein, man wird gehüllt in einen leicht nieseligen, pfirsich-nebligen Morgen am Fluss. Am Gaumen? Unfassbar geschmeidig. Die Säure nimmt einen an die Hand. Dieser Riesling ist ein Wein, der wächst, sich entwickelt, und dabei immer mehr preisgibt – wie zuletzt die Serie Die Toten von Marnow Teil 2. Man weiß: der Täter ist ein Riesling, ist aber angespannt deluxe, wie Inspektor Hermannsberg diesen Fall löst. Grapefruit und Mango spielen eine Rolle, dann taucht der Riesling wieder ab in den Nebel, keine Allüren, absolute Eleganz und Trittsicherheit. Ein Wein, der auf eine Reise mitnimmt, bei der hinter jedem Schluck – mit jedem Atemholen – neue Wendungen warten. Passend zum Weihnachts-Krimi: Man kann gemeinsam miträtseln. Vielschichtig, saftig, dann wieder kandierte Früchte, die filigrane Säure bleibt der rote Faden im Riesling-Drehbuch, bei der man der Mineralität immer mehr auf die Spur kommt. Klarer Fall: Man möchte eine Fortsetzung.
Gut Hermannsberg Niederhausen Riesling 2019 GG, Preis: rund 75 Euro, über gut-hermannsberg.de


Was noch Attribute eines guten Kuschelweins sind? Sie brauchen keinen Kamin, aber sie lassen direkt durch ihre Aromen oder Handschrift wohlig wärmende kaminreife Bilder im Kopf entstehen.

Weingut Lisa Bunn: 2021 Pinot Noir

100 % Spätburgunder, 31 Jahre alte Reben, Kalkstein mit Lössauflage, Handlese, 12 Monate in Barriquefässern aus französischer Eiche oder kurz: Pinot Noir 2021.
Lisa und ihr Mann zaubern nicht nur, aber vor allem halt auch: rote elegante Kuschler aus Trauben. Den Einstieg macht der kurz und knapp betitelte Pinot Noir für knapp 12 Euro. In der Trauben-Tinder-Bio steht: 100 % Spätburgunder, 31 Jahre alte Reben, Kalkstein mit Lössauflage, Handlese, 12 Monate in Barriquefässern aus französischer Eiche. Für mich so ein Wein, der auf Understatement macht, aber eigentlich schnell erahnen lässt, dass da Charakter-Handwerk allererster Güte unter dem Schafspelz steckt. Unfassbar elegant, reinziehend, nie schwermütig oder übermütig. Die Nase wird fruchtig, fast schüchtern gekitzelt, mich erinnerts leicht an einen nebligen morgen, irgendwo erschnuppert die Spürhundnase selbstgemachte Marmelade aus dunklen Beeren.
Der Einsteiger Pinot Noir von Lisa Bunn gleitet smooth und mit einer echt sexy juicy Geschmeidigkeit nur so cruisend über und durch den Gaumen.

Und diese Vibes setzen sich mit dem ersten Schluck fort. Auch hier erkennt man sofort diese filigrane, elegante, relaxte, aber präzise abgestimmte Handschrift des Weinguts. Die fein tanzenden Töne von Johannisbeere, Süßkirsche und Co erinnern mich an so einen ultramatten, auberginen-pflaumenfarbenen Autolack, das Ding gleitet so smooth und mit einer echt sexy juicy Geschmeidigkeit nur so cruisend über und durch den Gaumen. Ein classy freches Früchtchen!
Weingut Lisa Bunn 2021 Pinot Noir, Preis: 11,90 Euro, über weingut-bunn.de

Cuvée rot Ried Bärnreisser 1ÖTW, Weingut Grassl
Chroniken des 17. Jahrhunderts erzählen, dass in den „Pernreisern“ einst die Hexen ihr Unwesen trieben. Heute steht diese Lage in Österreich für eine bodenständig verzaubernde Premiumcuvée aus Zweigelt, Blaufränkisch, Merlot und Cabernet Sauvignon von bis zu 60-jährigen Reben – soviel sei schon mal verraten.

Cleanes Etikett, cleane Taktik: Der Ried Bärnreiser vom Weingut Grassl lädt ein auf eine Rotwein-Aromen-Safari.
Gehen wir kurz und knapp den Lebenslauf durch: Kontrollierte Vergärung durch natürliche Hefen in Holzgärständern bei max. 28 – 30°C durch sanftes Unterstoßen und Überfluten des Tresterhutes, Maischestandzeit 18 bis 25 Tage. Anschließend Säureabbau in 40% neuen und gebrauchten kleinen Holzfässern sowie 500l Fässer aus franz. Eiche, Klärung durch einmaliges Umziehen und Sedimentation, 18-monatige Reifung bis zur Abfüllung im Juli 2024. Und dann lässt der österreichische Rotwein einen direkt mal auf große Fahrt in den Aromen-Süßigkeitsladen gehen. Saftig marmeladig, tiefbeerig, Vanille, dunkle, reife Waldbeeren, Cassis, brombeerige Kräuterwürze – hier wird direkt in den dritten Gang geschalten. Was genau mein Style ist? Diese Whisky-Vibes – Trockenfruchtig, Vanille, Holz, leichte Nougat-Töne.
Reduziertes Etikett, maximaler Glas-Spaß: Mit diesem Rotwein kommt Schokolade ins Weinglas.

Und genau die sind bei diesem Wein der rote Faden, aus dem sich ein elegantes wie spannendes Reben-Outfit spinnt. Je mehr Atemzüge der Grassl Ried Bärnreiser nehmen darf, desto mehr gräbt sich so ein Zartbitterschokoladen-Flair an die Oberfläche wie ein Winzer-Maulwurf. Das macht mir, der Bitterkeit eigentlich nicht wirklich abkann, aber Spaß, weil dazu so eine animierte, beerige Saftigkeit in den Aromen-Sandkasten kommt, um mitzuspielen. Das Ding gleitet über Zunge wie Marco Arnautovic früher nachts über die Bremer Autobahn, dunkle Johannisbeeren flirten mit feiner Säure, mein erster Gedanke: Gebt mir einen Kamin und eine zweite Flasche, die Nacht darf länger werden als die lange Nacht in Game of Thrones. Drachenstark, dieser Rotwein. Hat natürlich sein Budget, aber lieber einmal richtig verliebt auf Glas-Abenteuer gehen als mehrfach halbherzig – das gilt doch besonders für Festtagsweine.
Cuvée rot Ried Bärnreiser 1ÖTW, Weingut Grassl, Preis: rund 34 Euro, über www.grassl.wine

Cantina Kaltern Quintessenz Kalterersee Classico Superiore DOC
Seit unseren letzten gemeinsamen Kurztrips nach Südtirol haben meine Eltern den Vernatsch für sich entdeckt. Eine der Lieblings-Urlaubs-Regionen dabei: der Kalterer See. Der Kalterersee Classico Superiore DOC aus der Linie Quintessenz feiert 125 Jahre gemeinsames Schrauben am Weinbau und komponieren von Reben-Soundtracks wie die anderen Team-MItglieder – nur eben mit rotem Faden. Allgemein finde ich läuft Vernatsch noch bisschen zu sehr unter dem Radar, wenn es um Weine mit Tiefgang geht. Mehr zur Linie Quintessenz könnt ihr übrigens hier im Blog nachlesen – Klick!

Der Flaschen-Dresscode zeigt schon: Hier geht es gleich elegant kultiviert zur Sache.
Elegant würzig, sehr klar, mit Finesse, aber ohne Allüren: Der Kalterersee der Cantina Kaltern Quintessenz Linie.

Der Kalterersee der Cantina Kaltern Quintessenz Linie zeigt sich zu Beginn fast verschlossen wie ich beim ersten Schultag, blüht mit jedem Atemzug aber auf. Der Dresscode: elegant würzig, sehr klar, wie ein granatroter Leinenanzug mit Poloshirt; Einstecktuch aus Kirsch-Erdbeer-Himbeer-Aromenmuster. Buchstabiert Dolce Vita aus der Hüfte geschwungen wie Shakira, mit Finesse, aber ohne Allüren. Erwachsen, aber einem humorvollen Blick aufs Wesentliche: dass das Glas bestenfalls immer halb voll.
Cantina Kaltern Quintessenz Kalterersee Classico Superiore DOC, Preis: rund 15 Euro, mehr Infos unter kellereikaltern.com

Weingut Manincor Sophie (Südtirol)
Manincor ist eines meiner absoluten Lieblingsweingüter in meiner Verliebungs-Region Südtirol – und die Cuvée Sophien ist so ein super charming Wein zum Schwelgen. Ich erinnere mich dann gerne an den Blick von der Tasting-Terrasse des Weinguts mit Blick auf den Kalterer See, bei dem so ein Glas dann echt zum Fern-Glas-Soundtrack wird. Sophie ist ein tasty Weißwein-Dreiklang aus Chardonnay (92 %), Viognier (4 %) und Sauvignon Blanc (4 %). Kurz zu den Fakten: Die Trauben für die Cuvée Sophie kommen je zur Hälfte aus Terlan Lieben Aich und Kaltern Mazzon. Lieben Aich ist eine warme, nach Westen ausgerichtete Hanglange auf 300 m Meereshöhe. Chardonnay und Sauvignon stehen hier auf lehmigem Sandboden, der von Porphyrverwitterungsgestein durchzogen ist. Chardonnay und Viognier auf Mazzon bilden die steilsten Weinberg, die sogenannte Leiten mit bis zu 100 % Gefälle und kalkreichem, lehmigem Lössboden.

Pure Eleganz mit galantem Charme: Die Cuvée Sophie vom Südtiroler Weingut Manincor aus Chardonnay (92 %), Viognier (4 %) und Sauvignon Blanc (4 %).
Im Glas: Für mich hat der Wein das Flair von einer Kitchen Impossible Folge. Man geht auf Abenteuer, unterhaltsam, neugierig machend, aber alles halt so super elegant, kultiviert und classy geschnitten. Ein Weißwein, elegant und dicht, charmant und kräftig – eine Glas-Reise, auf die man sich Zeit nehmen sollte, sich einzulassen. Perfekt also für die Festtage, oder?
Einer dieser Südtirol-Weißwein-Winterweine, den man unbedingt mal bemustern sollte.

Tipp: dekantieren und in Burgundergläsern servieren. Dann kommt diese See-Rundfahrt aus einer fruchtigen Auffseglung aus Aprikosen, Orangen, Akazien und Lindenblüten, mit einem Anker aus feiner Mineralik, richtig zur Geltung. Ein Wein, der mit Charakter – aber immer smooth und classy – auf Genuss-Reise nimmt, dabei stets aber so eine zarte Filigranität behält, grazil, aber mit Power.
Weingut Manincor Sophie, Preis: rund 40 Euro, über www.manincor.com/de

Mit einem schönen Winterwein möchte man sich in geselliger Runde zusammensetzen – mit welchem Dresscode, ist dabei nicht entscheidend. Manche sind Typ feiner Strickcardigan, manche fühlen sich an nach Jogginghose. Und beides schmeckt gleich cozy.


Graf Toggenburg „Eccellenza“
Einer dieser Winterweine mit Dresscode: pure Eleganz. Nach rund einem Monat Antrockenzeit in kleinen Kisten werden die Trauben für den Eccellenza noch einmal handverlesen und kommen dann zur Weinbereitung in den Keller.

Der Graf Toggenburg Wein Eccellenza ist der Signature- oder Ausnahme-Wein des Weinguts (Lest hier mein Portrait inklusive Wein-Tasting) und dem Grafen Friedrich Toggenburg gewidmet, dem Statthalter Tirols und Vorarlbergs und letztem Innenminister der Donaumonarchie am Ende des 19. Jhds, den man üblicherweise mit “Eure Exzellenz” anzusprechen pflegte. Dass dieser Reben-Soundtrack aus Sangiovese, Canaiolo, Colorino, Sagrantino, Fogliatonda handwerklich ebenfalls äußerst exzellent ist, kann ich unterschreiben.
Die autochthonen toskanischen Trauben für den Eccellenza wachsen zu einem großen Teil in der Vigna del Poggino und der Vigna del Sasso. Erstere sitzt zu oberst auf dem Hügel in 330 m Seehöhe und hat einen sehr reichen, ton- und lehmhaltigen Boden. Letztere ist eine steilere Lage mit lockeren Boden mit hohem Anteil an rund geschliffenen Steinen aus fluvialen Ablagerungen. Nur die besten Trauben werden für den Eccellenza verwendet, diese trocknen einen Monat lang in kleinen Kisten in einem geschützten Raum. In dieser Zeit geben die Beeren auf natürliche Art und Weise Wasser ab und konzentrieren so all ihre Inhaltsstoffe. Nach Erreichen des richtigen Trocknungsgrades werden alle Trauben noch einmal von Hand verlesen und eingemaischt. Die Gärung erfolgt dann langsam in Betontanks bei entsprechend langer Mazeration. Im Anschluss kommt der Wein auf der Feinhefe für mindestens ein Jahr in Barrique- und Tonneau-Fässer. Ein Drittel der Holzfässer ist immer neu. Anschließend wird der Eccellenza abgefüllt und ruht dann noch für 1 Jahr zur Abrundung in der Flasche.

Bei aller Komplexität behält sich der Graf Toggenburg Eccellenza eine magische, mitreißende Leichtigkeit.
Wer den Eccellenza genießen und entdecken möchte, sollte eines nicht haben: Zeitdruck. Das ist kein Rotwein für mal schnell zwischendurch. Und ja: Mit rund 45 Euro ist das auch ein Budget, auf das Einsteiger etwas sparen müssen. Ich würde den Wein aber auch erst empfehlen, wenn man sich auf seiner eigenen Wein-Journey schon eine gewisse Basis-Neugier zuvor entkorkt hat. Und bevor es auf Glas-Abenteuer geht, sollte es der Eccellenza machen wie ich als aufgeregter Schüler vor einem Referat: tief durchatmen. Bei diesem Toskana-Tango ist es wirklich so: Je mehr Luft der Rotwein bekommt, desto mehr öffnet er seinen Charakter. Und ganz am Ende, wenn alle Aromen zusammen sind, fühlt ihr euch wie in Stranger Things zum Soundtrack „Running up that hill“ durch eine rote Toskana-Rotwein-Geschmacks-Kaleidoskop-Zwischenwelt schweben. Aber ganz entspannt von vorne.
Muster-Wein-Abenteuer: Die Cuvée aus Sangiovese, Canaiolo, Colorino, Sagrantino, Fogliatonda schmeckt wie eine packende Serie, bei der man alles um sich herum vergessen kann.

Die erste Nase segelt durch ein elegantes, schimmerndes Meer aus Pfeffer, feiner Würze, Tabak, Blaubeeren, Brombeeren. Sehr tief, förmlich einziehend. Der erste Schluck legt sich wie eine elegante Decke auf die Zunge, geschmeidig, aber mit Kraft. Würze entfaltet sich, dunkle, dichte, aber filigrane Marmelade gleitet die Gaumenwände hinab, seidig, aber mit Struktur wie ein gewebter Stoff.
Dann klopft hinten raus Johannisbeere leicht rauchig an. Je mehr Luft der Eccellenza inhaliert, desto mehr erinnert mich das an leichten Whisky. Im besten Sinne. Vanille, holzige Noten, Balsamico, getrocknete Tomaten. Jeder Schluck wirkt wie ein Film, dessen Handlung mich mit ansteigender Spannung reinzieht, weil man wissen möchte, wie mysteriöse Geschehnisse aufgelöst werden. Man lässt sich fallen in dieses dunkelfruchtige Bett aus Trauben. Beeindruckend: der Nachgang. Der hat eine Johannisbeeren-Saftigkeit mit Würze an der Leine, die so ausfüllend Lust auf den nächsten macht. Und wirklich lange im Mund Kreise zieht. Ein Wein, um Momente zu sammeln und Erinnerungen zu teilen, der sich bei aller Komplexität eine gewisse Leichtigkeit behält. Großes Rotwein-Kino!
Graf Toggenburg Eccellenza, Preis: 44,50 Euro, über www.toggenburg.it/shop

Tenuta Monteti Rosso Toscana 2019

Der Toskana-Wein aus 55% Petit Verdot, 25% Cabernet Franc und 20% Cabernet Sauvignon hat ein klares Muster: klassische Eleganz in leichtgängigem Dresscode.
Wie eine mit tiefdunklen Rubin-Vorhängen und fein violetten Samtsofa eingerichtete, dunkelschokoladig getäfelte Bar nimmt einen der Signature-Rotwein der Tenuta Monteti in Empfang. Mit rund 40 Euro für Einsteiger vielleicht zu Beginn ein Regal zu hoch, da würde ich mit den anderen beiden beginnen – denn erst dann kann man diesen Rebensoundtrack richtig verstehen. Denn der Monteti Rosso Toscana trägt die gleiche geradlinige, schwebend-elegante Handschrift wie Rosé und Caburnio, nur wesentlich feinsinniger, facettenreicher interpretiert. Hier kann man wunderbar auf Aromen-Reise im Glas gehen.
Der Tenuta Monteti Rosso – ein classy Duett aus Johannisbeere und Schokolade, das immer wieder Whisky-Vibes auf den Glas-Plattenspieler legt.

Ergänzt die oben angerissenen Schokoladen-Vibes mit schwarzer Johannisbeeren und Maulbeeren – ein wohliger Empfang für die Nase. Mich hat der Wein aber direkt an Whisky erinnert. Fein nuancierte Würze, Pfeffer wie frisch aus dem Mörser, dunkles Holz, Röstpflaumen. Die Ansage: Lass uns direkt einsteigen und loslegen – quasi zum Schnupperkurs deluxe. Auf der Zungenspitze flaniert der Monteti grazil, glatt, geschmeidig, dann kommen elegant Würze und eine feinste tänzelnde Säure angeschwemmt. Der Wein wird weicher, richtig kuschlig, aber mit dieser leichtfüßigen Eleganz, wie es schon die ersten beiden Weine hatten. Nachgang: leicht röstig bitter, schokoladig eher, markant aber mit so einer Attitude eines Leinen-Anzugs am Küsten-Café. Markant aber classy.
Alles zum Weingut Monteti und weitere Weine im Test findet ihr hier im Artikel auf dem Blog – Klick!
“Monteti” Rosso Toscana IGT 2019, Preis: rund 43 Euro, etwa über superiore.de

Tenuta di Trinoro Le Cupole 2021
Kennt ihr den Spruch mit dem Haus bauen, Baum pflanzen etc? Zu den Dingen, die man in seinem Leben mal getan haben sollte, müssten Rotwein-Fans noch einen Punkt ergänzen: einen Wein vom Weingut Tenuta di Trinoro probieren. Konjunktiv, weil: Die nach Burgund-Vorbild hergestellten Weine nicht nur wie ein Maßanzug schmecken, sondern eben auch in kleiner Auflage produziert werden und ein entsprechendes Preisschild haben.
Im Val d’Orcia nahe der Grenze zu Umbrien und Latium erdachte und entwickelte der leider 2021 viel zu früh verstobene Kultwinzer Andrea Franchetti einige sehr ungewöhnliche rote Obstsalate. Dabei wählte der Gutsbesitzer als Rohstoffe Bordelaiser Sorten – allen voran Cabernet Franc, aber auch Cabernet Sauvignon sowie Merlot und ein wenig Petit Verdot.
Zum Glück hat das Weingut auch eine kleine Einsteiger-Ausgabe für Fortgeschrittene im Angebot. Die aber auch schon ein Fall fürs Festtags-Budget ist, so fair muss man sein. Die Cuvée Le Cupole aus Cabernet Franc, Merlot, Cabernet Sauvignon und Petit Verdot ist wie ihre großen Geschwister kein Wein für jeden Tag, aber ein Feiertag für Duft- und Geschmacksjäger.

Ein Italien-Rotwein für Entdecker, bei dem alles im grünen Bereich ist. Der Tenuta di Trinoro Le Cupole 2021 ist die Einsteiger-Ausgabe des berühmten Weinguts.
Einen Trinoro-Wein zu probieren ist schon Grund zum Anstoßen allein. Und danach kann man mit einem Glas in der Hand wunderbar drüber reden. Der 8 Monate in französischen Eichenholzfässern und 11 Monate in Zementtanks gereifte Le Cupole duftet nach Kamin und Sonnenstrahlen zugleich. Er gallopiert samtig easy über die Zunge ins Herz. Wichtig: dabei Zeit lassen. Je länger der Rotwein aus der Toskana im Mund schaukelt, desto mehr Aromen springen auf die Tanzfläche.
Der Italien-Rotwein Le Cupole überzeugt mit schönem Schnitt, feinen Details und folgt einem klaren Muster: unaufgeregter Eleganz.

Wie das riecht und schmeckt? Stellt euch vor, ihr schließt die Augen, träumt euch auf ein kleines Häuschen auf einem toskanischen Hügel, geht auf die Terrasse, lehnt euch dort auf einer bequemen, tiefen Couch entspannt zurück, und versinkt in eine Decke aus dunklen Früchten, Leder, gegrillten Kräutern, Lavendel, Kirschen, Brombeeren, Pflaumen und Zartbitterschokolade. Bisschen wie eine tagelang eingemachte, dunkle Sauce, in der Kalbsbäckchen zum Schmoren baden würden. Das Ganze aber in einem flowigen, relaxten Dresscode. Was auch für den Geschmack gilt. Da kommt der Rotwein für neugierige Entdecker eher wie eine nonchalant gechippte Flanke von Andrea Pirlo in den Gaumen-Strafraum, fein akzentuierte Textur, dicht, aber nicht erschlagend, eher mitziehen, dank einer schönen Saftigkeit, die sich grinsend dazugesellt. Eine italienische Glas-Reise mit Trinkzug, der nie zu spät kommt.
Noch mehr Italien-Weine für Entdecker findet ihr hier im Blog-Artikel!
“Le Cupole di Trinoro” Rosso Toscana IGT 2021, Preis: rund 31 Euro, etwa über superiore.de

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