Reisen, Kulinarik, Abenteuer – nicht nur ich hebe bei der Kombination beide Hände, auch die Jungs von We are Birds schreien euphorisch „hier!“. Sie könnten Lifestyle-Blogger sein, oder Backpack-Junkies, und sorgen auf ihrem Blog unter Craftcircus.de und, ja, safe, auf Instagram dafür, dass bei mir das Wort Fernweh öfter aufschlägt als Mario Balotelli in Diskotheken. Glücklicherweise haben die vier Herren eine Spirituosenmanufaktur gegründet, und liefern den Stoff zum Träumen gleich mit – zuerst Craft-Produkte wie einen Weissbrand, jetzt auch grandiose und absolut bezahlbare Weine.
Weinlese mit den We are Birds-Jungs und dem Range Rover Sport SVR
Und warum jetzt ausgerechnet ein britischer Geländewagen? Seit der Firmen-Gründung begleitet Julian, Lupo, Basti und Lukas ein alter Land Rover Defender – allerdings nicht zur Weinlese für ihr neues Projekt – denn dafür hat Jaguar Land Rover mir – beziehungsweise den Jungs – einen 550-PS-starken Erntehelfer zur Verfügung gestellt. Schließlich lesen wir die Trauben, aus denen später zwei Birds Weißweine, ein Rotwein und ein Rosé hergestellt werden.
Es ist weit nach Mitternacht, Regen peitscht unermüdlich gegen die Windschutzscheibe, wenige Meter neben der Straße glitzert die Mosel im Mondlicht. Im Weingut Brixius-Böllinger brennt noch Licht. Mein Kumpel Felix und ich werden sehnlich erwartet. Vier Augenpaare blicken uns an wie Kinder beim Geschenkeauspacken, mit diesem Blick, der die Eltern telepathisch um Erlaubnis bittet, sofort mit dem neuen Präsent aufs Zimmer zu rennen und zu spielen. Mit dem Range Rover SVR kann man auch hervorragend spielen – im 1600-Einwohner-Örtchen Maring Noviand, nachts um halb 2 aber: keine gute Idee. Denn das Biest ist laut. Und böse. Böse laut.
Snapchat mit 550 PS
Julian kann aber nicht widerstehen, ist der schnellste auf dem Fahrersitz. „Wahnsinn. Schau dir die Reifen an. Wahnsinn. Und die Sitze. Das sind Rennsitze! Wahnsinn.“ Sein Bruder Lukas und die Freunde Basti und Lupo zücken die Smartphones. Snapchat schläft nie. We are Birds. Vogelwild. „Vollgas, Digga“. Leerlauf, ein Fußdruck, dann fegt ein kurzes Orkan-Gewitter über die Ortschaft. Morgen früh dürfen die Jungs dann endlich auch einen echten Gang einlegen.
Während des Studiums in Hamburg lernten sich die vier kennen, ihr Projekt entstand als Hobby. 2014 schufen sie dafür kurzerhand eine neue Produkt-Kategorie, den Weissbrand. Das erste Werk (aus 10 Litern Wein entsteht ein Liter Weissbrand) hörte auf den Namen „The Wolf“, kostete, abgefüllt in ein Glaskunstwerk, weit über 100 Euro – beim Genuss einer dieser Schätze haben wir uns auch kennen gelernt. Deutlich preiswerter war der Nachfolger und auch Namensgebende Label-Spirituose „Birds“, eine Craft Spirituose – handgefertigt aus Riesling und 12 exotischen Bio-Zutaten, darauf konzipiert, sich zu vielseitigen und kreativen Drinks mixen zu lassen. In der Partner-Destillerie, dem „Gut Schwechow“, rund eine Autostunde von Hamburg entfernt, werden die Mazerate selbst im Weindestillat angesetzt, 700 handnummerierte Flaschen pro Charge abgefüllt.
Die Verpackung mit dem stilisierten Flugzeug zeigt aber auch die Erfolgs-Taktik des Teams: ein klares Markendesign (drei von ihnen haben Brand Management studiert beziehungsweise studieren noch) und ein durchdachtes Konzept. Von einem Termin in Berlin aus sind Basti und Lupo nach Maring-Noviand aufgebrochen, neun Stunden Fahrt, viel Stau, wenig Nerven, aber sie wollen dabei sein, wenn die Trauben für die Produktion ihres neuesten Projekts geerntet werden, den Birds Riesling, einen Wein für wirklich jeden Anlass, wie Lukas zusammenfasst. Schickes Dinner, Gartenparty, WG-Abend, ein Wein – die Jungs müssen es ja wissen.
Mit Highspeed zum Erfolg
Und weil Neugierde die vier eint, möchten sie bei der Entstehung des Weines, den sie mit Unterstützung von Winzer Manuel Brixius abfüllen, teilhaben. Dass sie dabei nicht mit dem üblichen Traktor, sondern einem Supercharged V8 in die Weinberge fahren dürfen, ist ein fairer Deal. Auch wenn man die Höchstgeschwindigkeit von 260 Stundenkilometern dort nur schwer erreichen wird – besser gesagt: darf.
Im Weingut sitzen sie mit Freunden und Familie zusammen, ein Glas Wein noch vor dem großen Tag, oder auch zwei. „Welcher Jahrgang ist das?“, fragt der Vater von Lukas. „2013, steht doch auf der Flasche“, sagt Basti. „Das Auto, Digga,“ entgegnet Julian, und schüttelt den Kopf. Baujahr 2016 antworte ich, und da ist er wieder, der Geschenkeblick. 4,85 Meter lang, 2,3 Tonnen schwer, in 4,7 Sekunden von 0 auf 100 Stundenkilometer. Ob die Soundanlage auch Bluetooth könne, möchte Basti wissen. Kann sie übrigens, über 19 Lautsprecher werden die 825 Watt Leistung ausgeworfen. Ein SUV als fahrende Disco. Sheeesh, Diggah.
15.39 Uhr. Arjen Robben verwandelt eine Flanke von David Alaba zum 1:0 gegen Frankfurt. Rund 150 Kilometer entfernt: Ernüchterung bei vielen der Erntehelfer. „Ach, naja, die Eintracht halt“. Auch im Weinberg ist Bundesliga. Und wer nicht fahren muss, gönnt sich auf den Schock einen Schluck Wein. Aus dem Schnapsglas, versteht sich.
Steil gehen
Lupo atmet durch, stützt die Hände in die Taille. „Ich geh ja gerne steil, aber so …“ keucht er und blickt den Weinberg hinab. Bei einer Hangneigung von bis zu 45 Grad ist das Einsammeln der Trauben in Handarbeit ein echtes Workout. Es ist nass, rutschig, am Morgen hat es noch einmal geregnet. Abwärts, ernten, und mit dem vollen Korb auf dem Rücken wieder hoch. „Wir sind ja erst bei Nummer zwei“, grinst Basti. Und snappt erstmal. Foto, Filter, und ab ins Netz. Ganze vier Parzellen an vier verschiedenen Lagen stehen auf dem Ernte-Programm. Halbzeit.
Konditionsprobleme hat Winzer Manuel Brixius nicht. Er beantwortet während der Arbeit mit alle Fragen des Birds-Teams. Wie ich mir das früher von meinem Mathe-Lehrer gewünscht hätte: verständlich, nicht wie ein Besserwisser. Wie oft erntet man im Jahr? Welche Auswirkung hat die Sonne? Was bringt die Lagerung im Holzfass? Kann man Sekt aus jeder Rebsorte machen? Was genau bedeutet eigentlich feinherb? Zum Abendessen gibt es schon Wein, oder? Nächtelang, monatelang tüftelten die vier mit Manuel am Geschmacksprofil ihres eigenen Rieslings. Der ist mittlerweile so begehrt, dass sich die Lieferzeiten verlängern.
16.12 Uhr. 20 Meter über uns ein Schrei aus den Rebstöcken. 1:1. Huszti hat für die Eintracht ausgeglichen.
Von Birds zu Kendrick Lamar
Auf zu Weinberg Nummer drei, Lukas darf fahren. Julian, der passionierte Fotograf der Truppe, hält alles fest. Spiegelreflex, Polaroid, Video. „Darf ich losfahren?“ Darf er. Angelegt für das rote Monster sind die schmalen Feldwege an der nächsten Erntestelle zwischen den sich terrassenförmig bis zur Mosel herunterziehenden Weinbergen nicht. Einige Zentimeter neben dem rechten 22-Zoll-Reifen geht es steil über hundert Meter in die Tiefe. Wenig Spielraum. Julian, tiefenentspannt, hält mit der Kamera drauf. „Habt ihr Kendrick Lamar auf der Playlist? Dreh ruhig mal lauter!“
150 Kilometer entfernt antwortet Marco Fabian auf das Tor von Josua Kimmich, 2:2, 78. Spielminute, es wird der Endstand sein. Darauf könne man anstoßen, meinen die Eintracht-Fans unter den Helfern. Darauf werde man anstoßen, meint Manuel. Mit einem Birds, meinen die Jungs zu uns. „Aber psst!“
Der nächste Tag, Abreise. Linke Spur. Sonne. 450 Kilometer bis zum Trennungsschmerz. Der erste, bei dem ich jeden Meter bis dorthin genieße.