Ich wette, ihr habt die Situation täglich: Ihr trefft jemanden, Kollegen, Bekannten, den Dönermann, und alle fragen zur Begrüßung: “Na, wie geht’s?” Die klassische Small-Talk-Einstiegs-Floskel. Erwartet man da eigentlich eine umfassendere Antwort? Oder stellen wir die Frage aus reiner Höflichkeit, und hoffen eigentlich, dass keine ehrliche Antwort kommt? Dürfen, können, oder sollten wir aus dem Small Talk vielleicht einen Deep Talk machen?
Gute Zeiten, schlechte Zeiten: Ab wann zählt das als jammern?
Einfach ein “alles gut!” zu entgegnen, ist easy. Weil kaum jemand daraufhin nachfragt, wieso. Aber wenn man sagt, es ginge nicht gut, muss man erklären, wieso. Und mag das jeder wirklich hören? Belaste ich die Person dann? Und noch viel, viel wichtiger: Will ich denn überhaupt so viel von mir preisgeben?
Was wäre, wenn … ich ehrlich wäre?
„Hey, na wie geht’s? Alles fein?“
Was man sagt:
„Alles gut. Läuft. Rollt. Bergab, rückwärts, aber läuft. Ja, muss, ne. Passd scho. Und, Diggi, bei dir?“ Auch.
Ende der Unterhaltung.
Was man denkt und vielleicht gerne sagen würde:
Ganz ehrlich: Ging mir schon besser. Irgendwie ziehts mich runter, weil ich gefühlt nicht vorankomme. Ich trete auf der Stelle. Mein Blog ist nicht da, wo er sein sollte. Ich kann die Geschichten nicht so cool umsetzen, weil mein Fotograf, den ich mit Glück gefunden hab und die Connection gefeiert hab, jetzt den Kontakt gecancelt hat. Und ich keinen neuen Fotografen finde, den ich aber brauche, um auch mal gute Bilder von mir zu haben. Danke Instagram. Ideen stehen im Stau. Ich kann Kunden nicht zeigen, was ich alles mit ihnen umsetzen könnte. Ich überwinde mich, frage Fotografen an, und kassiere Absagen. Wenn überhaupt jemand antwortet. Oder ich kann es einfach beim besten Willen nicht bezahlen.
Ich erwisch mich immer wieder, wie ich Dinge mache, die ich eigentlich abstellen wollte. Wo ich nicht so handle, wie ich das will. Oder auch von anderen erwarten würde.
Ich fühl mich mies, weil ich jemanden verletzt und / oder enttäuscht habe.
Ich fühl mich noch mieser, weil ich mich selbst hab verletzen lassen.
Mich beschäftigt es, dass ich meine besten Freunde aktuell so selten sehe. Und vermisse es, einfach nur ein paar Haustüren weiter zu gehen. Dass man für gemeinsame Momente gerade so viel hin-und-her organisieren muss.
Mich beschäftigt es, wenn Kontakte einschlafen. Auch, weil ich mal wieder Dinge verpennt hab. Aber man sich rechtfertigen muss, dass eben nicht alles super läuft.
Ach ja: Gerade wieder mitbekommen, wie jüngere Bekannte jetzt schon finanziell aufgestellt sind. Und man sich fragt, was man eigentlich falsch macht. Vergleichen macht echt nicht happy.
Es geht mir nicht gut dabei, wenn aus Missverständnissen etwas falsch interpretiert wird, und jetzt was zwischen wichtigen Leuten steht.
Es nervt mich, dass ich so mir oft viel zu viele Gedanken mache.
Es macht nachdenklich, dass ich teilweise Angst hab, Instagram zu öffnen, weil man bei den perfekten gezeigten Erfolgsleben sein Selbstbewusstsein verliert und ordentlich sabotiert.
Es beunruhigt mich, dass ich seit 4 Jahren Single bin und frage, ob ich sowas wie einlassen noch kann.
Es macht mich nachdenklich, dass man sich unnötig selbst im Weg steht.
Es nervt mich, wenn ich schlagfertig sein will, und mir die perfekte Antwort erst Tage danach einfällt.
Und mich beschäftigt es, dass ich zur Zeit meine Laune so von der Suche nach Erfolgserlebnissen abhängig mache – obwohl es mir doch eigentlich im Vergleich mit wirklichen Problemen echt gut geht.
Klingt nach nem Drehbuch für eine RTL2-Serie. Ehrliche Seelen-Strip-Monologe, seriös vorgelesen von den Big Brother-Bewohnern. Aber zurück zum Text.
Ich verstehe?
Würde jemand überhaupt solange zuhören beziehungsweise folgen können, um da irgendeine verständnisvolle Antwort zu geben? Bleibt ja eigentlich nur der berühmte Charlie Harper-Allrounder: “Ich verstehe.”
Wer, wie geht’s, was?
Am Ende sagen wir dann doch einfach: Passt schon. Und haben damit aber eigentlich nur etwas verpasst. Ehrlich zu sein, und zu sagen, was in einem vorgeht, kostet schon hart Überwindung. Wies geht, lernen wir halt nur, wenn wir auch sagen, wies uns geht.
Lass uns ein Spiel spielen
Ob ich echt mal demnächst die Ehrlichkeits-in-your-face-Karte spiele? Wenn ja, bei wem? Vielleicht geht’s mit einem Spiel. Ich such mir ne Zahl aus. Nehmen wir 11. Wer immer mich ab dann als Elfter fragt „wie geht’s“, darf sich dann den ungeschminkten Zustand anhören. Im allerbesten Fall kann ich dann ganz ehrlich sagen: alles gut!