Früher in der Schule war das für mich schon eine uncoole Situtation: Zuzugeben, dass man etwas nicht verstanden hat, sich noch mal melden, nachfragen, immer mit dem dummen Gedanken im Hinterkopf, dass man der einzige wäre, und nun zum Ziel des Spottes wird. Dabei ging es bestimmt mindestens der Hälfte im Raum genauso, man wartete nur, dass ein anderer den ersten Schritt machte. Ganz ähnlich verhält es sich beim Thema Wein, hab ich den Eindruck. Grade viele Einsteiger sind eingeschüchtert, weil sie glauben, man müsse zur ersten Schulstunde schon das Abitur-Wissen mitbringen, um mitreden und mitspielen zu dürfen. Ganz ehrlich: völliger Quatsch. Wein ist kein literarisches Quartett für Akademiker, sondern ein Abenteuerspielplatz ohne Einlasskontrolle, jeder darf sich austoben. Und selbst die Fachkräfte bleiben neugierig. Rainer Müller, Gastgeber im Hotel Sonnenhof in Grän, im Tannheimer Tal, hat für die Zusammenstellung seiner Weinkarte eine Auszeichnung vom Gault&Millau erhalten – Karte des Jahres 2022 – und lernt immer noch gerne dazu. Da wollte ich beim Besuch im Hotel (Klick: den ganzen Bericht, wie so ein Hotel-Aufenthalt im Hotel Sonnenhof aussieht, zum Nachlesen) die Chance nutzen, mal zum freiwilligen Nachsitzen zu gehen – natürlich mit seriöser Praxisrecherche, bei der man tief ins Glas schauen darf. Dabei hat mir Rainer Müller Einblicke in seine eigene Weinreise gegeben – und für euch mal 5 einsteigerfreundliche Weine aus seiner Karte herausgesucht, mit denen Neugierige im Sonnenhof cool ins Abenteuer Wein entdecken starten können.
Hinweis: Das Hotel hat nach Renovierung am 13. Mai jetzt frisch die Tore geöffnet – perfekt doch, um mal auf ein spontanes Genuss-Abenteuer zu gehen, oder?!
Eine vom Gault&Millau ausgezeichnete Weinkarte mit über 1200 Positionen, die über Jahre und Generation hinweg aufgebaut wurde, unzählige besuchte Weinregionen, unzählige probierte Gläser: Kann ein Wein-Experte wie Rainer Müller sich überhaupt noch erinnern, wann die eigene Wein-Liebe die ersten Knospen schlug? Rainer Müller kann, und erinnert sich – nicht durch die Blume, aber glasklar – an ein Schlüsselerlebnis.
„Das war mit Anfang 20, wir hatten noch eine normale Weinkarte, Standard, zehn verschiedene Flaschen. Dann wurde ich auf die Vin Italy in Rom eingeladen mitzukommen, und dachte mir – ja, klar, komm, ich fahre mit. Dann ging es am Gardasee und Verona vorbei auf die erste große Messe. Diese Vielfalt dort hat mich wahnsinnig fasziniert – und das waren ja hauptsächlich italienische Weine. Dort hat es angefangen. Ich habe meine ersten Schritte gemacht, das Wissen erweitert, probiert, andere Länder ins Visier genommen, habe über den Teller-, oder besser Glasrand hinausgeblickt. Ich wollte mehr wissen, wollte wissen, wie die Weine schmecken können, welche Aromen, welche Stile es gibt. Die Grundzutaten für Wein sind klar. Aber das Produkt, das Handwerk, ist stetig im Wandel. Naturweine betreten die Bühne, Anbaumethoden ändern sich, alte Methoden werden wieder ausprobiert, das Klima ändert sich, neue Rebsorten kommen dazu. Kurz: man lernt nie aus.“
Auch der Wein-Bezug der Konsumenten verändere sich, wie Rainer festgestellt hat.„Das Wissen der Gäste ist anders, sie wissen mehr, haben mehr Wein-Kenntnisse, interessieren sich noch mehr dafür. Aber auch das Bewusstsein, wo die Weine herkommen, wie sie produziert werden, steigt. Und: Das Thema Wein-Begleitung zum Essen erfährt immer mehr Nachfrage“. Auf die ist er als Gastgeber mit der großen Weinkarte vorbereitet, entscheidend ist hier die Balance.
Bei der Weinauswahl für die Hotelkarte hat sich Gastgeber Rainer Müller das Prädikat Spürnase verdient.
„Wir haben eine sehr gute Mischung auf der Karte. Viele Klassiker, bisschen Mainstream, aber auch junge Wilde. Der Trend geht weg von den fetten, schweren Weinen zu leichteren, trinkfreudigeren, eleganteren Weinen. Da findet gerade ein Wandel statt. Der Fokus liegt klar auf einheimischen, österreichischen Weinen, wir haben aber auch ein großes Angebot globaler Weine. Wir möchten uns nicht komplett eingrenzen, schließlich bringen wir ja auch französische Austern, Hummer oder bretonische Fische. Natürlich haben wir ein Augenmerk darauf, so viele Produkte wie möglich lokal und regional zu beziehen. Und: Die Weinkarte ist ja nicht statisch, sondern über 30 Jahre lang gewachsen. Sie wird immer wieder erweitert, aber auch mal reduziert. Da fließt eine Menge Arbeit, eine Menge Zeit, eine Menge Herzblut hinein.“ Und Rainer Müller lernt auch als Experte immer weiter dazu, wie er verrät. „Man muss sich immer wieder neu mit Wein auseinandersetzen. Ich besuche Messen, lese Fachliteratur, besuche Verkostungen, besuche Winzer vor Ort. Man baut Beziehungen auf, informiert sich über Trends, füttert die Wein-Neugierde immer wieder neu. Das macht auch den Reiz aus.“ Dabei hat der Gastgeber des Hotel Sonnenhof in Tirol manchmal Parallelen zu einem Spürhund. Denn es hat natürlich seinen Reiz, wieder einen neuen, noch unbekannten Winzer zu entdecken, der noch in kleinerer Stückzahl anbaut – und dann der nächste Geheimtipp wird, der neu auf der Karte landet.
Auch ich gehe bei Weinen gerne der Nase nach, hab aber halt auch irgendwie ein Herz für schöne Etiketten. Und da werd ich bei den hauseigenen Weinabfüllungen doppelt angeflirtet.
Ein ausdrucksstarker Teil der Wein-Liebe von Rainer Müller sind die aktuell vier hauseigenen Sonder-Abfüllungen, die es nur im Hotel gibt. Ein Schaumwein könnte zukünftig noch dazu kommen, aber da wird noch fleißig ausprobiert. Zusammen mit befreundeten Winzern aus Österreich hat Rainer Müller Weine aus besonderen Lagen als Private Edition abfüllen lassen, und jetzt kommt die nächste gute Nachricht: Ihr findet die Weine unter den offenen Weinen auf der Karte. Relaxtes reinschnuppern in das Quartett ist also locker drin. Teil der hauseigenen Abfüllung ist zum einen der Grüner Veltliner 2020 „fulminant“, vom Weingut Jurtschitsch, aus Langlois im Kamptal, wie Rainer verrät: „Ein typischer Kamptaler. Der Wein mixt Saftigkeit, vielschichtige Finesse und kräuterige Würze. Auch das sortentypische „Veltliner Pfefferl“. Lebendig, präzise und mit toller Frucht. Der zweite Weißwein ist der crispy-freshe „Lumachelle“, Morillon in Zusammenarbeit mit Armin Tement aus der Steiermark. Morillon ist die eigene Bezeichnung für Chardonnay nur in der Steiermark. Spontan vergoren und 18monatiger Ausbau auf der Feinhefe, puristisch und eigenständig. Vielschichtige Aromen nach Schokolade und Quitte. Im Duft Mineralik pur mit eleganter Säurestruktur. Langlebiger, eleganter Burgunder“ Ich kann euch sagen: Spannendes Teil!
Auf Seiten der Rotweine findet ihr „Solenn“, vom Weingut Sepp Moser aus Rohrendorf im Burgenland. „Ein Blauer Zweigelt, spontan vergoren, drei Wochen auf der Maische, 24 Monate im gebrauchten Barrique. Rot-schwarzer Glanz. Ausdrucksvolle Nase mit attraktivem Holunder- und Kirscharoma untermalt mit schwarzem Pfeffer. Am Gaumen seidiges Tannin, kraftvoll und elegant, Lang anhaltender Abgang. Der zweite Rotwein, „Euphoria“, eine Cuvee aus 2/3 Merlot und 1/3 Blaufränkisch von Christoph Wachter-Wiesler aus dem Burgenland ist deutlich gewichtiger. Der Anteil Blaufränkisch wurden mit Kämmen (Rebstielen) vergoren. In der Nase Leder und rote Beeren. Am Gaumen druckvoll, elegant und kraftvoll. Gut eingebundene Säure, elegantes Holz“. Auch hier meine Empfehlung: hat ordentlich Punch, unbedingt mal probieren!
Nicht nur Weine, sondern auch eine große Auswahl Champagner machen die Weinkarte des Hotel Sonnenhof in Grän so spannend.
Wenn es bei Tastings dann darum geht, Weine zu beschreiben, geht es Rainer Müller lieber pragmatisch an. Von ausufernden Obstkorb-Analysen hält er nicht so viel. „Ich bin ein schlechter Beschreiber, da würde mir der Wortschatz fehlen. Ich mags eher gerade heraus, und formuliere es so, dass ich Salzigkeit mag, oder Mineralität. Ich sage ganz klar einfach: ja, das schmeckt mir gut, da passt alles zusammen, das ist harmonisch. Und dann muss man um einen Wein gar nicht stundenlang herum philosophieren, sondern sollte lieber zeitnah Spaß damit haben.“ Und auch einen Rat an Einsteiger hat er noch kurz entkorkt. „Man muss sich an Wein rantasten, ohne Angst, ohne Vorurteile, neugierig, am besten zusammen, austauschen. Nicht abschrecken lassen, Wein ist nicht mehr so elitär wie es manchmal noch scheinen mag. Auch ich lerne immer wieder neu dazu. Am Ende ist es einfach wichtig, zu probieren, seinen persönlichen Stil zu entdecken und zu verfolgen, und diesem Geschmacksprofil dann nach und nach Winzer zuzuordnen, die diese persönliche Wein-Sprache sprechen. Einfach: neugierig bleiben!“
WEINKAUFSLISTE: HOTEL SONNENHOF EDITION
Bei einer so umfangreichen und ausgezeichneten Weinkarte wie im Hotel Sonnenhof im Tannheimer Tal kann die Lektüre – und die Entscheidung, welcher Wein es denn zum Start sein soll, schon mal etwas länger dauern. Aber im Hotel hat man Zeit, und sollte sich die auch nehmen. Ich hab Gastgeber Rainer Müller deshalb mal um eine kleine Inspirations-Hilfe gebeten, oder kurz: 5 Weine, mit denen Einsteiger und Neugierige Beginner einen schönen Eindruck bekommen, wo die Reise auf der Weinkarte hingeht, die vor allem aber auch ein zugängliches wie spannendes Eintritts-Ticket ins Abenteuerland Wein sind. In dem Sinne: frohes neugieriges Probieren!
Neugierde ausdrücklich erwünscht: Rainer Müller mit seiner Auswahl von 5 Weinen, mit denen Einsteiger richtig Laune haben werden.
Sieht man mir nicht an direkt, aber die Wein-Auswahl hat mich echt vom Stuhl gehauen.
Learning by doing. Es heißt ja nicht umsonst Weinlese. Location ist übrigens das Fine-Dining-Restaurant des Hotel Sonnenhof.
Cantina Terlan, Sauvignon Winkl 2019 (Südtirol)
Wieder Weißwein, diesmal aus Südtirol von der Cantina Terlan. Der Sauvignon Blanc Winkl ist ein klassischer Sauvignon, im Stahltank ausgebaut, sehr typisch für die Region. Sehr grasige, grüne Noten, frisch aber elegant ausbalanciert. Ein schöner Essensbegleiter, beispielsweise für Tafelspitz oder das Wiener Schnitzel, sehr knackig, fruchtig, tolle Nase, tolle Frucht-Aromen auch am Gaumen, hat einen Tick mehr Alkohol mit 13,5 %, dafür aber eben auch Tiefe im Geschmack. Elegant, hohe Qualität, macht Spaß!
Erfrischende Weißwein-Eleganz aus Südtirol: der Sauvignon Winkl von der Cantina Terlan.
Weingut Rosi Schuster, Blaufränkisch Burgenland 2017 (Österreich)
Ein schönes rotes Signal aus dem Burgenland mit feinem Etikett. Hier ein Blaufränkisch vom Weingut Rosi Schuster, das heißt immer noch so, auch wenn mittlerweile Sohn Hannes übernommen hat und das Reben-Zepter schwingt. Klassisch ausgebaut, großes Holz, dadurch schöne Frucht, gute Säure. Kein fetter Wein, im Gegenteil, hat einen klasse Trinkfluss, passt zu Geschmortem, aber geht wunderbar auch solo. Ebenfalls tolles Preis-/Leistungs-Verhältnis. Spannende Einstieg ins Burgenland, hat Temperament, ist aber zugänglich, daher: rantasten, aufmachen, trinken, Spaß haben!
Flirtet mich direkt an: das reduzierte, rein auf Text basierte Etikett.
Weingut Tement, Ried Sulz Weißer Burgunder 2017 (Österreich)
Zum Weingut Tement pflegen wir eine lange freundschaftliche Beziehung. Gemeinsam mit ihnen haben wir auch eine unserer Hausabfüllungen gekeltert. Der Weißburgunder Sulz 2017 kommt dank Holzausbau ein wenig cremiger daher, mundfüllender, hat richtig Druck am Gaumen. Ein klassischer Weißburgunder auf dem Papier, aber man sollte den Wein in die Karaffe geben, damit er all seine Facetten zeigen kann. Mein Tipp: Wer keinen Rotwein trinkt, sollte den Tement Sulz mal zu Fleisch probieren – spannende Kombination. Ein klasse Einblick in die Handschrift des Weinguts, eine Benchmark, die zeigt, was man dort alles kann.
T wie Trinkfreude: der Ried Sulz Weißer Burgunder 2017 vom Weingut Tement.
Domaine Chavy-Chouet, Bourgogne Rouge La Taupe 2019 (Frankreich)
Burgund ist ja eine meiner Lieblings-Regionen, und der Bourgogne Rouge La Taupe 2019 von der Domaine Chavy-Chouet gibt da einen schönen Einblick. Ich war vor kurzem erst dort, habe den Winzer persönlich besucht, ein klasse Typ, jung, innovativ, schöne Weingärten. Ein – in Anführungszeichen – normaler Pinot Noir, absolut grandioses Preis-/Leistungs-Verhältnis. War ein bisschen im Holz, den 2019er kann man auch jetzt schon trinken, dann kommt er etwas frischer und fruchtiger daher, wer die Geduld hat, wartet noch ein, zwei Jahre. Kein schwerer Wein, leicht und verständlich, perfekt, um der Neugier nachzugehen.
Damit hat man als Gastgeber immer einen Stein im Brett: der Bourgogne Rouge La Taupe 2019 von der Domaine Chavy-Chouet.
Weingut Veyder-Malberg, Grüner Veltliner Liebedich 2018 (Österreich)
Ein schöner Tipp für Weißwein-Fans: Grüner Veltliner 2018 Liebedich vom Weingut Veyder-Malberg. Ein tolles Weingut aus der Wachau, ein sehr innovativer Winzer, der biodynamisch (nicht zertifiziert, aber trotzdem) arbeitet. Ein klassisches Grüner Veltliner, aber mit modernem Anstrich. Im Stahltank ausgebaut, ein sehr cahrmantes Etikett, passt super beispielsweise zum Tafelspitz. Ein hervorragender Wein, gerade auch für Einsteiger, der kann alles: unkompliziert, elegant, nahbar, erfrischend.
Liebe auf die erste Nase und den ersten Schluck: der Grüner Veltliner Liebedich 2018 vom Weingut Veyder-Malberg.
Bei Wein-Flirts braucht man keine Scheu zeigen. Einfach entkorken, vergleichen und drauf einlassen.
Ich kann abschließend sagen: Das Hotel Sonnenhof in Grän im Tannheimer Tal ist ein echt cooler Ort, um dem Abenteuer Wein auf die Spur zu gehen. Eine ausgezeichnete weil umfangreiche, aber eben auch clever durchdachte Weinkarte, in der man auch als Einsteiger bezahlbare Einblicke in teils noch aufstrebende Winzer erhält, aber eben auch die Champions League Österreichs und darüber hinaus probieren kann. Dazu ein Gastgeber, der Wein wirklich lebt, und sein Wissen teilt. Und klar ist es praktisch, dass man als Gast dort einen sehr kurzen Heimweg ins Zimmer hat. Strategie ist alles!