“Ey, und dann hat der mich einfach angesprochen!”
Eigentlich sind meine Kopfhörer und ich ja unzertrennlich. Insbesondere in der Ubahn. Aber es gibt so Momente, da schalte ich die Musik heimlich aus. Böse, ja. Nur wenn außerhalb meines Noise-Canceling-Paradieses wieder eine RTL Mitten-im-Leben-Szene stattfindet, tendiere ich ab und an zum Lauschen.
Die Protagonisten: zwei junge Damen, die offenbar eine Wette am laufen haben, wer mehr München Klischees auf 1,70 unterbringen kann. Zwillingslook, dicker Parka mit Fell. Die eine platinblond, die andere mit schwarzer Dadcap tief ins Gesicht gezogen. Einmal Ugg Boots, einmal Overkneestiefel aus Samt, Lederleggins, die Handtaschen ordnungsgemäß zwischen fein im 90-Grad-Winkel abgeknickten Handgelenk und Armbeuge hängend, Resting Bitch Face. Handy in Glitzerhülle. Dem Unterhaltungs-Level quasi auf der Lebensautobahn zwei Ausfahrten von Take me out oder der Zusage als Bachelor Kandidatin entfernt.
Und dann zeigt Overknee Understatement. „Ich schwör, dass der sich traut, ey, ich bin gar nicht seine Liga, das muss der doch sehen“.
Man möchte sie nett anstupsen. Ganz süffisant. Und auf die Möglichkeit im von Zeit und Raum gekrümmten Universum hinweisen, dass er es sehr wohl gesehen haben könnte. Nur halt in der Liga eher Richtung Tabellenkeller geblickt hat. Aber ich höre lieber weiter zu.
Match dir keinen Kopf
Es bringt zum Nachdenken. Ich geb zu, ich hab diese Momente auch manchmal. Leider. Dating, Online, offline. Matchen, ansprechen, anschreiben – ja oder nein? Dann flüstert eine Stimme im Kopf diesen idiotischen Satz, und man möchte selbigen gerne abnehmen, eine Bud Spencer-like Tracht Prügel verpassen, noch drei mal im Kreis drehen und vorsichtig wieder aufsetzen. Es hat sich einfach irgendwie eingeschlichen. Und will nicht mehr ausziehen. Sackgasse Kopfsache. Dabei ist das totaler Schwachsinn.
Außerhalb meiner Liga? Verschollen in der Relegation
Mal ehrlich: Was soll dieses Kreisklassendenken? Ab wann ist man in einer Liga? Wann darf man eigentlich wo mitspielen? Und who the fuck spielt hier eigentlich den Schiedsrichter auf dem Tinderspielplatz?
Im Kopf frag ich Overknee: In welcher Liga spielst denn du Madame? Oder deine Freundin? Noch besser: In welcher würde ich deiner Meinung nach wohl spielen? Oh Honey. Es würde mich halt so hart nicht jucken.
Trotzdem: Am Ende steht immer das gleiche Ergebnis. Und das endet selten unentschieden. Es wird bewertet. Entweder auf- oder ab. Meistens ab.
Runter vom Treppchen
Wichtigste Regel: nicht kleiner machen, als man ist. Ich bin kein Freund von Über-Ego oder Selbstüberschätzung, aber sich gleich als Abstiegskandidat einzustufen muss auch nicht sein. Wenn man die angestrebte Person auf ein Podest stellt, kann die ja nur runterschauen. Keine gesunde Konstellation. Für beide.
Entschieden gegen Unentschieden
Nehmen wir mal konkret den Fall Dating. Ab wann ist man “gleich attraktiv”? Wer vergibt die Höchstwertungen? Woher kommt eigentlich der Schwachsinn, dass ich mich beim Dating nach meiner Klasse richten soll? Man dann noch Blicke erntet, nach dem Motto: Kann ja nur Geld haben. Oder: Das macht der nur aus Mitleid. Und warum wird hier eigentlich immer auf die Attraktivität, meine Ausbildung und das Konto reduziert? Sind wir mal ehrlich: Bewertet wird erstmal die Optik. Eigentlich wird aber nur das Bild von uns beurteilt, das andere von uns sehen – ohne Background, ohne Charakter, ohne die eigene Geschichte, ohne Persönlichkeit. Da brauch ich keinen Video-Schiedsrichter um zu sagen: Die Wertung ist irregulär. Die lass ich nicht gelten.
Beim Bewerten sollten andere Werte zählen
Was nützt mir ein Optik-Pokal, wenn das Ding einfach nur kalt rumstehen und glänzen kann? Den Fall hatte ich schon: draußen Champions League, innen Ascheplatz. Und auf dem verletzt du dich irgendwann. Nur eine Frage der Zeit. Wer gut für mich ist, entscheide immer noch ich. Nicht du Overknee, und nicht ihr anderen Overknees da draußen. Ach ja: Und Selbstbewusstsein, dass man sich durch Herabstufen anderer holt oder aufpoliert ist wie Tetrapak-Wein. Kannste schon machen – ist halt nur einfach, billig, nicht nachhaltig – und schmeckt scheiße. Gewinnen tut man damit nix.
© Anastasia Petrakova