Möglichst viel aus seiner Zeit rausholen: Einen Text zu diesem Thema wollte ich schon vor Corona schreiben. Aber grade jetzt kommt man um diesen Produktivitäts-Trend nicht mehr herum. Ob Facebook oder Instagram: Überall wird auf die kreativsten Weisen (oder mit Challenges oder Alltags-24/7-Doku) vermittelt, dass man produktiv sein muss, die neugewonnene Zeit (lest auch: besondere Zeiten für mich) nutzen muss, mal in sich gehen, reflektieren und im besten Fall einmal sich generalüberholt selbstoptimieren. Und bei mehr Bildschirmzeit am Smartphone oder Tablet läuft man da echt Gefahr, sich von der Welle mitziehen zu lassen.
Nur – eine dumme Frage: Welche neue Zeit genau? Es ist doch nicht so, ob ich frei von Verpflichtungen zu Hause chille und überlege, wie ich meine Freizeit auf 30 Quadratmetern möglichst sexy ausübe.
Selbstoptimierung oder: Freizeiten ändern dich
Unter der Woche sitze ich bis 7 vor dem Rechner und arbeite ganz normal. Nicht dass ich ja gut in Mathematik gewesen wäre, aber wenn ich die Woche durchrechne, hab ich keine einzige Stunde mehr zur Verfügung als in der guten alten Zeit vor dieser Pandemie. Das mag vielleicht gehen, wenn ich hauptberuflich Duckfaces digitalisiere, mir für die eigentliche Arbeit von Fotografen Fame einverleibe und Produktcodes durch den Club werfe. Wenn ich jetzt mehr Zeit habe, dann am Wochenende. Und da kommen wir zum Punkt: Gefühlt wird erwartet, dass ich da richtig Programm abspule. Schon früher kamen im Office (lest auch: die coolsten Office-Accessoires) mal fragende Blicke, weil ich keine Radtour bis nach Tirol gemacht habe oder die Wohnung renoviert.
Social Schaffungsmaßnahme
Jetzt wird mir der Eindruck suggeriert, ich müsste meine Wohnung umstellen, schnell mal eine Runde neuer Möbel bestellen und mein neues Ich auch sichtbar dekorativ darzustellen, sollte unbedingt frühmorgens aufstehen und meine Sport-Routine zu starten, die ich aber nur mit 4 Shakes am Tag überstehe und wenn ich keinen Smoothie-Mixer zu Hause hab, hab ich eh falsch gelebt. Treppen und Wasserkästen kann ich als Hanteln nutzen und zwischendrin meinen Kopf resetten, das richtige Mindset draufspielen und zack, kommt das Glück von ganz alleine.
Nur: Darf ich auch mal nichts tun? Völlig dreist mal am Wochenende ausspannen. Mal etwas länger schlafen, das Handy zur Seite legen, nicht dokumentieren, wie ich nach dem Aufstehen aussehe?
Einfach mal kein Programm durchlaufen lassen? Oh doch: Weil ich‘s einfach mache. Natürlich fehlt mir dann etwas, das ich posten kann, aber ich will halt auch mal einfach leben. Und das geht schlecht, wenn ich mit dem Handy in der Hand meinen Tag livestreame.
Produktiv am Arsch: ein Herz für die Pausetaste
Und nein, ich finde, ich muss kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich Body & Soul mal ein paar Nix-tu-Momente erlaube. Es ist sogar berechtigt, weil man gerade in der jetzigen Zeit neben täglichem Arbeits-Hustle noch Energie aufwendet, sich mit den neuen Rahmenbedingungen zu akklimatisieren. Es gibt da draußen Menschen, deren kleinstes Problem ist es, ob sie heute oder morgen ein paar Fitness-Übungen machen. Die wollen auch kein neues Mindset oder reduzierte Beauty-Tees, die juckt auch kein #wokeuplikethis – sie wollen nur mit ihrem Lieblingsmenschen in Zukunft weiter aufwachen, egal, wo die gerade sind.
Wichtig: Immer auch sich selbst im Auge zu haben.
Trendsportart: Nichtmitlaufen
Trend produktiv sein hin oder her: Ich hab schon länger für mich beschlossen, dass ich nicht hier bin, um es möglichst allen recht zu machen. „Die anderen machen dass doch auch …“ war schon im Kindergarten ein Scheiss-Argument. Einem Vorzeige-effizienten Leben nachzulaufen, ist für mich kein Ding, dass mir gut tut. Und die Freiheit, das mitlaufen da einzustellen nehm ich mir. Mag faul klingen, ist aber wenigstens kein fauler Kompromiss.