Like mich mal am Arsch

Nicolas Tedjadharma Fotografie gentlemens journey black white outfit

Wenn man nur macht, was Leute hören oder sehen wollen, wo bleibt dann die eigene individuelle Identität?


Du postest zu wenig Bilder von dir selbst. So wird das nie was mit dir als Influencer.

Mal abgesehen davon, dass ich das gar nicht will (ja, man kann Social Media auch ohne Follower-Sammel-Drang nutzen) – war das mittlerweile der zweistellige Kommentar von Menschen, nachdem sie zum ersten Mal meinen Account bekommen haben oder betrachtet haben.

Alles für den Klick, den Augenblick, den Ego-Push? Heutzutage ist die Anzahl der Abonnen­ten und besonders die „Gefällt mir“-Angaben pro Beitrag, die dem eigenen Profil folgen, erstrebenswert und mit das wichtigste soziale Statussymbol. Echt jetzt?

Gefällt mir nicht!

Wenn es nach „Gefällt mir“-Angaben geht, dürfte man für Instagram-Likes gefühlt nur noch Ganzkörperbilder von sich selbst posten. Das Erfolgsrezept: Was trage ich? Hintergrund immer unscharf. Nur Profibilder. Bloß: Muss oder will ich da mitkochen?

Nein. Instagram lebt von schönen Fotos. Am besten ausschließlich von und mit sich selbst. Andere Motive fallen gefühlt drastisch ab. Ich find das total schade, denn so viele Motive, egal ob Naturaufnahmen, Objekte, Deko oder private, nicht gestellte Momente, würden mindestens die gleiche Aufmerksamkeit verdienen. Beziehungsweise die Leute, die diese Bilder selbst geschossen haben – und nicht einfach nur Model spielen.

Mal ehrlich: Wenn die Welt etwas nicht braucht, ist es noch ein 1.000.001 ter Typ, der mit Gesicht weg von der Kamera über die Straße geht und deepe Lebensweisheiten von sich gibt – oder Styling-Tipps, die ich ihm a) nicht abnehme und für die er b) eh bezahlt wurde.

© Gentlemens Journey // Schatten größer als das Ego. Instagram verkehrt.

Dürfen Instagram-Likes entscheiden, wie gut ich mich fühle?

Ich schreibe oder poste Artikel und Bilder ja nicht fürs Ego. Oder um am Ende des Jahres unter meinem Account-Namen auf eine Zahl zu blicken, mit der ich mich anderen überlegen fühle. Ich schreibe, weils mein Hobby ist, weil es mich freut, wenn ich jemand meine Begeisterung von etwas übermitteln kann. Ich stelle Bilder online, die mir persönlich gefallen – und nicht ausgewählt danach, was möglichst vielen gefallen könnte. Die Wahrheit ist doch: Ja, Instagram-Likes geben Selbstbewusstsein – aber sie nehmen es auch drastisch, wenn sie ausbleiben. In diesen Ego-Streichel-Strudel will ich gar nicht erst abdriften. Ich werd nicht meinen Alltag umstellen, und mein Monatsgehalt für einen Profifotograf ausgeben, nur um täglich ein durchbearbeitetes Catwalk-Motiv von mir zu haben. Ich freu mich über jeden einzelnen Leser, aber will mir keine erbetteln, in dem ich zur Kopie werde. Und: Als glattgebügelte Kopie wird man halt auch austauschbar. Irgendwo kommt dann immer einer, der alles noch ein bisschen cooler macht, der noch cooler aussieht, noch mehr postet, noch mehr fancy Bilder hat. Am Arsch.

Ecken, Macken, Einzelstück

Online oder offline, scheißegal – wenn man nur macht, was Leute hören wollen, wo bleibt dann die eigene, die individuelle Identität? Wieso sollte ich mich verstellen, um mehr Aufmerksamkeit von Menschen zu kriegen, die ich überhaupt nicht kenne? Muss ich meine echte Meinung klein halten, um erfolgreich zu sein? Was hätte ich beispielsweise von einer Frau, die mich nur mag, weil ich ihr genau das sage, was sie offensichtlich hören will, oder muss? Ich müsste ständig ein Schauspiel aufrechterhalten. Und ich wäre nicht ich. Ich möchte aber ich sein und bleiben. Sich für Likes, digital oder verbal, zu verändern? Ich hätte Angst vor den Konsequenzen. Vielleicht fühlt man sich kurz gut. Aber irgendwann läuft man Gefahr, sich darin zu verlieren. Vielleicht sind Ecken, Macken, Kanten oder Kilos keine Like-Lieferanten. Aber sie liefern Persönlichkeit. Und die sollte man sich trauen, zu bewahren.

„Ich  hab deinen Blog gelesen. Und damit war der Tag auch irgendwie schon durch, weil ich auf der Arbeit immer vom einen zum nächsten Artikel kam. Ich mag, wie du schreibst“, hat mir vor Kurzem jemand geschrieben. Jetzt mal easy für den Arbeitgeber, die Person macht eh jede Menge Überstunden. Sie ist kaum auf Instagram, und noch weniger auf den Bildern, die dort zu sehen sind, Aber für das unerwartete Kompliment hab ich innerlich ein Offline-Superlike gegeben. Danke!

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